Alice Gabathuler gibt Einblicke in ihr Autorenleben.
Alice Gabathuler gibt Einblicke in ihr Autorenleben.
Interview von Rosemarie Benke-Bursian
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
es gibt in jedem Leben immer wieder besondere Glücksmomente. Für mich ist jetzt gerade dieser Fall eingetreten. Mein ganz besonderer Dank gilt deswegen zwei ganz besonderen Menschen. Alice Gabathuler, gerade ausgezeichnet mit dem Hansjörg-Martin-Preis 2014 für ihr Buch „no_way_out“ und Rosemarie Benke-Bursian, die mir dieses Interview zur Verfügung gestellt hat. Es ist eine Premiere im Autorenblog. Das erste Interview mit einer Autorin und dann gleich einer so hochkarätigen….
Sie verstehen meine Euphorie!
Nun aber genug von meiner Hochstimmung. Lassen wir die beiden Damen zu Wort kommen.
Die Kinder- und Jugendbuchautorin Alice Gabathuler ist 1961 in der Schweiz geboren und auch dort aufgewachsen. Danach zog es sie für eine Weile in die weite Welt. Heute lebt sie mit ihrer Familie im schweizerischen Kanton St. Gallen. Schon als Kind hat sich Alice Gabathuler für Bücher und Geschichten begeistert. Doch erst mit 39 machte sie – einer Midlife Crisis sei Dank – das Schreiben zum Beruf .
Im Jahre 2014 erwies sich diese Entscheidung als eine sehr gute, denn die Autorin wurde für ihren Jugendkrimi „no_way_out“ mit dem renommierten Hansjörg-Martin-Preis für den besten deutschsprachigen Kinder- und Jugendkrimi des Jahres geehrt, ein Preis, der einmal jährlich auf der Criminale vom Syndikat, einer Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren, verliehen wird.
Für Alice Gabathuler markierte die Verleihung des Hansjörg-Martin-Preises einen Höhepunkt in ihrem Leben, das längst nicht so geradlinig und zielstrebig verlief, wie es auf den ersten Blick erscheint, doch das lass ich sie nun anhand eines Interviews selbst erzählen:
Herzlichen Glückwunsch, du hast den Hans-Jörg Martin Preis für dein Buch „NO-WAY-OUT“ gewonnen. Wie geht es dir jetzt damit?
Alice Gabathuler: Ich wurde schon bei der Nominierung von einer Glückswelle erfasst. Bei der Verleihung hat sie mich dann mitgerissen und seither reite ich auf dieser Welle und geniesse es. Der Preis steht neben meinem Computer und jedes Mal, wenn ich ihn anschaue, legt sich ein zufriedenes Grinsen auf mein Gesicht.
Hattest du damit gerechnet?
A G: Nein. Ich habe zuerst gar nicht begriffen, warum ich eine Mail vom Syndikat bekomme und mich dann gefragt, ob mich jemand auf den Arm nimmt. Aber es sah alles völlig offiziell aus. Und dann hat es mich so richtig gepackt. Ich habe nie für Preise geschrieben, sondern für die Jungs und Mädels, die meine Bücher lesen. Sie will ich packen und unterhalten. Bei #no_way_out wurde es für mich während des Schreibens irgendwann sehr persönlich. Ich merkte, wie nah mir die Figuren und die Geschichte gehen. Ich fühlte auch, dass ich dabei war, das Buch meines Lebens zu schreiben. Da tauchte dann plötzlich der Gedanke auf: “Falls ich jemals einen Preis gewinnen sollte, wünsche ich ihn mir für genau dieses Buch.” Wahrscheinlich ist deshalb meine Freude so wahnsinnig gross.
Wurde dir die Preisverleihung vorher angekündigt, oder wurdest du auf der Criminale damit überrascht?
A G: Die vom Syndikat sind sehr gut im Bewahren von Geheimnissen. Ich hatte keine Ahnung.
Wie hoch ist das Feedback? Bekommst du viel Fanpost, Schreib-Angebote von Verlagen o.ä.?
A G: Von den Schweizer Medien habe ich außer von meiner Lokalzeitung nichts erwartet – aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen. Es gab dann einen wunderschönen Bericht in der Lokalzeitung 🙂 Und Ende Juni ein Interview mit dem “Schweizer Buchhandel”, aber nicht wegen des Preises. Dafür haben sich viele Autorenkollegen mit mir zusammen gefreut. Viel mehr ist nicht passiert – zumindest nicht unmittelbar. Weil ich damit auch nicht gerechnet habe, bin ich darüber nicht enttäuscht. Der Preis ist mir persönlich sehr wichtig, weil mir das Buch so viel bedeutet. Eigentlich reicht mir das schon.
Wird dieser Preis dein künftiges Schriftstellerleben beeinflussen? Wie viel macht dieser Preis aus, um in der Verlagsbranche und / oder bei den Lesern ein höheres Ansehen zu erhalten?
A G: Ich bleibe realistisch und gehe von einem „eher nicht“ aus.
Schildere uns doch bitte kurz deinen Werdegang zum Schriftsteller:
A G: Ich habe in meiner Teenagerzeit meine Gefühle durchs Schreiben ausgedrückt, in Form von Tagebüchern, Gedichten, Songtexten, angefangenen Romanen (mein Rekord liegt bei 28 Seiten, weiter bin ich nie gekommen). So richtig mit dem Schreiben begonnen habe ich viel später: Mit 39 Jahren.
Hast du schon immer geschrieben oder gab es ein besonderes Ereignis, das bzw. eine Idee, die dich zum Schreiben gebracht hat?
A G: Mich hat mit 39 eine dieser Sinnkrisen erfasst. Da habe ich die Gelegenheit gepackt und ernsthaft mit dem Schreiben begonnen. Es war ein guter Entscheid!
Weißt du noch, worum es in deiner allerersten Geschichte ging? Hast du die noch? Wurde sie jemals veröffentlicht?
A G: Es gibt ein veröffentlichtes Gedicht aus meiner Jugendzeit. Aber ich habe es nicht mehr. Ich habe kürzlich in den alten Geschichten gelesen und gemerkt, dass ich damals schon in die Richtung geschrieben habe, in die ich heute schreibe.
Wie lange hast du „für die Schublade“ geschrieben, bevor du eine Veröffentlichung bekamst und welcher Titel war das?
A G: Ich habe am ersten Buch (“Blackout”) vier Jahre geschrieben – dann fast ein Jahr einen Verlag gesucht und schlussendlich noch einmal mehr ein Jahr auf die Veröffentlichung warten müssen. Für die Schublade habe ich nie geschrieben, weil ich nach dem ersten Buch sämtliche Texte schon als Idee verkauft und erst dann geschrieben habe. Dafür gab es Ideen, die keine Abnehmer fanden. Einige davon werde ich selber umsetzen – mir fehlt nur im Augenblick die Zeit dazu.
Warum schreibst du Thriller ausgerechnet für Kinder / Jugendliche?
A G: Jugendthriller schreibe ich, weil mich diese Altersgruppe fasziniert. Jugendliche Protagonisten empfinden sehr tief, haben häufig noch zu wenig Lebenserfahrung, ihre Gefühle einzuordnen oder mit einer gewissen Distanz und Abgeklärtheit zu sehen. Vor vielen Entscheiden stehen sie zum ersten Mal; sie können auf nichts zurückgreifen, nur auf ihre Gefühle, die sie in die verschiedensten Richtungen ziehen, aber sehr tief gehen. Erwachsene, die vergessen haben, wie das war, als sie jung waren, reden dann von Naivität, von Kitsch, von Unreife, von Drama-machen – aber diese Gefühle sind echt, genauso, wie das Reflektieren darüber. Ich habe sehr grossen Respekt vor dieser Altersgruppe, die ihren Weg erst suchen muss, und das inmitten unzähliger innerer Konflikte und in einer Welt, die nicht einfacher geworden ist.
Warum schreibst du für Jugendliche in diesem Genre: Krimi/Thriller?
A G: Weil ich keine reinen „Problembücher“ mag. Diese Einteilung früher in den Buchläden: „Drogen“ / „Frühe Schwangerschaft“ / „Erste Liebe“ usw. Fürchterlich! Ich ziehe es vor, die aktuellen Probleme in einen Krimi oder Thriller zu integrieren. Das macht das Buch spannend – und wer will, bekommt sozusagen als doppelten Boden jede Menge Gedankenfutter mit auf den Weg. Man kann auch in Krimis / Thrillern Werte vermitteln. Aber immer ohne erhobenen oder wedelnden Zeigefinger!
Gibt es im Kinder/Jugendbereich dabei nicht engere Grenzen (z.B. Erotik, Gewalt) als bei Krimis für Erwachsene?
A G: Doch, aber ich empfinde sie nicht als hinderlich, denn für mich sind sie nicht zu eng, weil immer noch sehr viel möglich ist. Außerdem muss nicht jede Gewaltszene ausgemalt werden, nicht jeder Liebesakt ins Detail beschrieben sein. Viele Thriller im Erwachsenenbereich arbeiten nur noch mit Schockelementen und mit Tabubrüchen. Aber das ist es nicht, was ein gutes Buch ausmacht, im Gegenteil, manchmal nerven diese durchschaubaren, einkalkulierten Tabubrüche nur noch (zumindest mich). Ich lese deshalb im Erwachsenenbereich praktisch keine Thriller mehr.
Könnte man im Markt für Erwachsene nicht wesentlich mehr Leser erreichen, mehr verdienen, größere Anerkennung bekommen?
A G: Vielleicht. Aber diese Frage ist im Moment müßig. Weil ich sehr gerne für Jugendliche schreibe und vor allem gelernt habe, damit zu leben, “nur” Jugendbuchautorin zu sein (obwohl diese Nichtbeachtung durch die Medien immer noch nervt!).
Woher nimmst deine Ideen? Was inspiriert dich? Hast du einen „Ideenkasten“, aus dem du schöpfen kannst oder nimmst du Aufträge mit entsprechenden Vorgaben an?
A G: Was mich interessiert: Themen (wie Jugendgewalt, der Umgang der Gesellschaft mit Aussenseitern, das Internet usw.) Was mich inspiriert: Musik, Menschen, Filme, gute Texte, Erlebnisse, Beobachtungen. Daraus schöpfe ich meine Ideen. Mein Ideenkasten ist mein Kopf, in dem die Ideen reifen, herumflirren, sich festsetzen, sich einnisten. Ich mache praktisch keine Notizen. Was in meinem Kopf länger hängenbleibt, ist es für mich wert, näher betrachtet und dann geschrieben zu werden. Nach Aufträgen schreibe ich nicht. Ich will schreiben können, was ich schreiben will. Wenn ich auf Auftrag arbeite, dann, weil er mich auch wirklich interessiert (z. Bsp. die Radiohörserien für Kinder oder ein ganz aktuelles Projekt für einen Schweizer Verlag), dann erarbeiten wir die Vorgaben zusammen, wobei ich nur so weit gehe, wie es für mich stimmt.
Brauchst du nach einem abgeschlossenen Roman erst einmal eine kreative Pause oder kannst du gleich wieder loslegen? Drängt womöglich sogar schon die nächste Idee und will als Geschichte umgesetzt werden?
A G: Keine kreative Pause, sondern die Zeit, meine Figuren loszulassen, die mir im Laufe des Schreibens sehr ans Herz wachsen. Und dann die Zeit, meinen neuen Figuren zu begegnen und sie kennenzulernen. Das kann tatsächlich dauern! Deshalb war es mein Traum, eine Serie zu schreiben. Der ist in Erfüllung gegangen. Ich schreibe im Augenblick eine Serie. Es war ein herrliches Gefühl, Band 1 fertig zu schreiben und nahtlos in Band 2 übergehen zu können.
Was hat dich konkret auf die Idee deines jetzt ausgezeichneten Werk gebracht?
A G: Das Buch hat vier Pfeiler: Pfeiler 1: Die Menschen, die mir immer am Herzen gelegen haben – die Außenseiter, die sogenannten Freaks, die nicht der gängigen Norm entsprechen. Pfeiler 2: Eine reale Begegnung: Ich war mit meinen Einkaufstüten auf dem Weg nach Hause, als mich ein junger Kerl ansprach. Etwa 18 bis 20, blondes Stubbelhaar, Piercings im Gesicht, abgerissene Kleider. Er fragte nach 20 Rappen. Ja genau, 20 Rappen, nicht 2 Franken 🙂 Auf meinen Einwand, dass man damit nichts kaufen könne, antwortete er, er wolle auch nichts kaufen, sondern telefonieren. Auch das gehe nicht, antwortete ich, worauf er meinte, er brauche wirklich nur 20 Rappen, den Rest habe er. Ich habe sie ihm gegeben. Und noch etwas mehr. Ich weiß nicht, wer er war, wie er hieß und wohin er ging, aber auf dem Weg nach Hause entschied ich, ihm eine Geschichte zu schreiben. Er ist zu Mick aus #no_way_out geworden. Pfeiler 3: Am Wochenende nach der Begegnung mit “Mick” habe ich mein Bücherregal aufgeräumt und bin auf Lee Child gestoßen, dessen Jack Reacher Bücher mir extrem gefallen. Also entschloss ich mich, für Mick eine dieser Wahnsinns-Action-Knaller zu schreiben, die Jack Reacher immer erlebt. Pfeiler 4: Mich beschäftigte schon seit längerem der Stand-your-Ground-Artikel, den es in den USA in einigen Staaten gibt, und ich wollte im Buch der Frage nachgehen, was bei uns in der Schweiz passieren müsste, damit auch wir so ein Gesetz fordern.
Gab es auch besondere Tiefpunkte? Hast du womöglich schon mal mit dem Gedanken gespielt, mit dem Schreiben aufzuhören?
A G: Der absolute Tiefpunkt als Autorin war, als mich wie ein kleines Würstchen fühlte, eine Bittstellerin, jemand, der sich klein machen lassen hat, jemand, der nicht mehr weiß, wer er ist. Ich hatte andere Tiefpunkte. Ein Cover, bei dem ich wusste, dass das Buch floppen würde, weil das Cover nicht funktioniert (das Buch ist gefloppt), Bücher, die einfach im großen Meer der Neuerscheinungen erscheinen, unbemerkt von allen, und dann ihren Weg finden müssen oder absaufen, Buchideen, die niemand wollte, Verlage, die einen mehr als ein Jahr hinhalten, der Moment, in dem das Buch meines Lebens herauskam und es keinen Menschen interessierte … Oh, ich hatte viele Tiefpunkte! Manche taten grässlich weh. Aber das Wunderbare an Tiefpunkten ist, dass man irgendwann dasteht und sich sagt: “Bin ich bescheuert? So nicht.” Mit dem Schreiben aufhören wollte ich nie – mit dem Schreiben für Verlage schon. Die Möglichkeit, die Bücher selber zu machen, empfand ich als totale Befreiung. Seither biete ich meine Ideen Verlagen an, und wenn niemand sie will, kann ich sie selber verwirklichen. Dieses Wissen hat mich frei gemacht. Seit ich mit dieser inneren Einstellung lebe, geht es mir fantastisch. Im Augenblick reite ich eine Wahnsinnswelle. Ich habe den Hansjörg-Martin-Preis gewonnen, meine Serie ist Spitzentitel, ich habe mehr Lesenfragen als Zeit für Lesungen. Aber ich weiss, dass mich diese Welle jederzeit an den Strand spucken kann.
Viele Autoren beklagen, dass sie immer wieder Schreibblockaden haben. Kennst du das auch? Hast du spezielle Rituale, die dir eine gewisse Struktur schaffen? Hast du vielleicht deinen ganz persönlichen Schreibmodus gefunden?
A G: Nein. Schreibblockade kenne ich nicht. Ich habe manchmal keine Ideen oder das Schreiben fällt mir schwerer. Aber ich nenne das nicht Schreibblockade, sondern ich sage dann, dass “es klemmt.” Das tut es doch in jedem Beruf. Wenn es klemmt, höre ich Musik. Ich habe zu jedem Buch meinen ureigenen Soundtrack, einen Song, den ich mir unzählige Male anhöre. Da steigen dann Bilder und Gefühle auf, die mir helfen, in den Text zu kommen. Wenn das nicht funktioniert, überarbeite ich schon geschriebenen Text. Ich bleibe gelassen und vertraue darauf, dass mir schon etwas einfällt. Und das tut es auch. Struktur? Ich bin ziemlich unstrukturiert in der Art, wie ich arbeite. Die totale Gefühls- und Herzschreiberin. Einen Schreibmodus habe ich nicht wirklich, außer, dass ich auf meinen Bauch höre. Meine Bücher sind dann am Ende dennoch strukturiert. Dabei ist mir wichtig, dass Forum und Inhalt harmonieren. Veränderungen brauche ich nicht wirklich, obwohl ich sie liebe.
Kannst du unter (Termin)Druck besser schreiben oder ist das für dich vielleicht sogar Gift, weil dir dann nichts mehr einfällt?
A G: Den Termindruck brauche ich, weil ich sonst endlos herumdödeln würde. Ich nenne mich einen Deadline-Junkie. Abgabetermine bremsen mich nicht aus, sondern feuern mich an und beflügeln mich. An anderer Stelle in diesem Interview fragst du nach Hochs und Tiefs. Wenn mich etwas bremst, sind es die Tiefs. Dabei meine ich nicht schlechte Verkaufszahlen oder schlechte Rezensionen, sondern die Zeiten des Haderns mit der Branche, in der ich arbeite. Ich hatte einige davon. Da ist es dann wirklich passiert, dass ich absolut keine Lust hatte, ein Buch fertig zu schreiben, einfach, weil die Umstände mehr als nur frustrierend waren. Seit ich für mich die richtige Einstellung gefunden habe, sind diese Bremsklötze weg.
Wie viel Alice steckt in deinen Werken bzw. in den einzelnen Figuren deiner Werke? Greifst du auf reale Personen aus deinem Umfeld zurück? Spielen Erlebnisse aus deinen Leben eine Rolle in deinen Geschichten? A G: Ich habe immer gedacht, ich halte mich aus meinen Büchern raus, aber mittlerweile denke ich, dass sehr viel Alice, vor allem viel Wunsch-Alice in meinen Büchern steckt. Es stecken auch Personen, die mir viel bedeuten, in meinen Büchern. Aber nie mit ihren wirklichen Geschichten. Und nicht als die Personen, die sie sind. Ich erfinde Figuren und gebe ihnen zum Teil Charakterzüge von Menschen, die ich kenne. Dabei spielen auch Erlebnisse aus meinem Leben eine Rolle.
Wie viel investierst du in Recherche? Unternimmst du vielleicht sogar Reisen, um fremde Orte zu studieren, Leute zu interviewen?
A G: Recherchieren ist nicht meine grösste Stärke oder Leidenschaft. Ich lese Dinge im Internet nach, spreche mit Leuten, stelle Fragen, schreibe über Orte, die ich kenne. All das gehört zu meinem Beruf dazu. Wenn ich mich mal an diese Arbeit mache, gefällt sie mir. Aber ganz ehrlich: Ich schreibe lieber.
Kommt es vor, dass deine Figuren plötzlich anders wollen als du? Wenn ja, wie gehst du damit um? Zwingst du ihnen deinen Willen auf, oder änderst du den Lauf der Geschichte / des Plots?
A G: Meine Figuren machen immer das, was sie wollen. Deshalb plotte ich vorher meine Bücher nicht durch, sondern denke sehr viel über meine Figuren nach. Ich habe ein Grundthema und eine Grundidee und wenn ich die mal habe, ergibt sich die Geschichte mehr oder weniger von selbst.
Wenn du gerade kein Buch schreibst, liest du dann Bücher von anderen Autoren? Wenn ja, welches Genre? Analysierst du dann beim Lesen die Geschichten? Gibt es Lieblingsautoren?
A G: Ich lese vorwiegend Jugendbücher – weil es so viele tolle davon gibt. Dabei lese ich alles, was mich interessiert. Bei einem guten Buch tauche ich völlig in die Geschichte ab. Manchmal wünsche ich mir auch, ich hätte dieses Buch geschrieben. Wenn mich ein Buch total packt, analysiere ich es nicht. Wenn mir eins weniger gefällt, fallen mir irgendwann all die handwerklichen Fehler auf – dann muss ich aufhören zu lesen. Ein Autor, der ein Vorbild ist: Kevin Brooks. Zwei Bücher, die mich tief berührt haben: “Pampa Blues” von Rolf Lappert und “Geballte Wut” von Petra Ivanov (beides Jugendbücher). Ein Buch, das mich herzhaft zum Lachen gebracht hat: “Zufallshelden” von Tom Zai. Da analysiere ich nichts mehr. Da bin ich nur noch tief beeindruckt.
Für viele Autoren sind Lesungen wichtig. Wie ist das bei dir? Gibst du auch Workshops / Seminare rund um das Thema „schreiben“?
A G: Ich mache pro Jahr 120 bis 150 Lesungen. Als Haupteinnahmequelle, als direkten Kontakt zu den Jugendlichen, vor allem aber, weil ich extrem gerne Lesungen mache. Sie beflügeln mich, motivieren mich, geben mir Energie für das Schreiben. Ich werde angefragt, entweder von Lesetourenveranstaltern oder von Schulen direkt. Ab und zu gebe ich auch Workshops um das Thema Schreiben.
Viele Autoren sind heute auf Facebook und anderen Netzwerken aktiv. Wie wichtig ist das für dich? Wo findet man dich?
A G: Ich habe eine Webseite und bin seit Jahren Bloggerin. Man findet mich auf FB, Google+ und Twitter. Ich denke, das braucht es, aber ich passe auf, dass ich nicht zu viel Zeit in der virtuellen Welt verbringe. Es gibt nämlich eine ganz reale, und die möchte ich nicht verpassen.
Wie stehst du zur Entwicklung von E-Books und der Selfpublisher-Szene?
A G: Ich finde die E-Books und Selfpublisher-Szene bereichernd, wertvoll und wichtig. Vor allem geben diese neuen Möglichkeiten uns Autoren ein Stück Freiheit. Wir hängen nicht auf Gedeih und Verderb von den Verlagen ab. Projekte, an die wir glauben, die die Verlage aber nicht realisieren wollen, können wir nun trotzdem durchziehen.
Womit beschäftigst du dich außerhalb der Literaturszene? Oder bleibt dir gar keine Zeit für andere Interessen?
A G: Ich bin ein totaler Naturmensch. Wann immer möglich ziehe ich mich in die Einsamkeit der Natur zurück. Ohne Remmidemmi, ohne Unterhaltungsprogramm, einfach nur Natur, am liebsten so weit weg wie möglich von der Zivilisation. Dort wandere ich oder sitze einfach da und staune. Ich arbeite gerne im Garten. Ich liebe Musik, spiele E-Gitarre (grottenschlecht), gehe an Konzerte, und ich mag Filme.
Was für ein Werk dürfen wir als nächstes erwarten?
A G: Ich schreibe gerade am letzten Band einer vierteiligen Serie. Lost Souls Ltd. Der erste Band erschien Mitte Juli 2014 und heißt Blue Blue Eyes. Band 2 folgte im Oktober, Band 3 im Februar und Band 4 im Sommer 2015. Die Lost Souls sind mir dabei wahnsinnig ans Herz gewachsen. Und ich fürchte, ich habe mir selber ein Bein gestellt. Ich wollte mehr Zeit für meine Figuren. Die hatte ich. Nun habe ich keine Ahnung, wie ich von ihnen Abschied nehmen soll.
Gibt es etwas, was du unbedingt noch schreiben möchtest?
A G: Ich lebe total im Jetzt. Was kommen wird, weiß ich nicht. Aber ich werde schreiben. Ich werde wunderbare Figuren erfinden. Ich werde weiterhin (grottenschlecht) Musik machen und ich werde viel Zeit in der Natur verbringen.
Was sind deiner Meinung nach die schwierigsten Hürden, die Autoren zu überwinden haben, um einen Verlag zu finden bzw. als Autor bekannt zu werden, und dauerhaft bestehen zu können?
A G: Was ein Autor braucht: Ideen. Schreiblust. Die dicke Haut eines Elefanten. Den Kopf in den Wolken, die Füßen fest auf dem Boden. Realitätssinn. Gelassenheit. Galgenhumor ist auch extrem hilfreich. Zynismus empfehle ich nicht (obwohl man in dieser Branche sehr zynisch werden könnte): Er macht hässlich, bitter und unglücklich. Weiter: Das Wissen, dass die Verlagssuche lang, hart und allenfalls erfolglos sein kann. Und das Wissen, dass man es längst nicht geschafft hat, wenn das erste Buch an den Verlag gebracht ist. Das Autorenleben verläuft in Wellen. Mal reitest du auf einer wirklich guten, mal spuckt es dich aus und wirft dich an den Strand bevor du weißt, wie dir geschieht. Es ist ein stetes Auf und Ab. Es gibt keine Sicherheit, keine Garantien, und vor allem können die meisten Autoren nicht von den Bucheinnahmen leben. Das hältst du nur aus, wenn du bei dir angekommen bist und mit dir selber klarkommst. Aber wenn du das kannst, wenn du mit all den Schwierigkeiten klar kommst und gerne schreibst: Dann ist das ein toller Beruf.
Welche Tipps gibst du Schreibanfängern? Und hast du einen Tipp für deine Autorenkollegen, die von einem Preis träumen?
A G: Tipps: Schreiben. Es versuchen. Durchhaltewillen. Einen Plan B (wenn ich keinen Verlag finde, werde ich …) Ein Umfeld haben, das einen trägt, wenn die Tiefschläge kommen – oder erdet, wenn der Erfolg kommt. Nie für Preise schreiben, sondern für sich und die Leser. Wenn dann etwas herauskommt, das einen Preis verdient hat, umso besser. Nicht alles unterschreiben (es gibt Grenzen gegen unten). Sich selber nicht verlieren. Frei bleiben.
Ich sage herzlichen Dank für dieses höchst interessante Interview!
P.S.: Weitere Informationen zur Autorin finden Sie auf ihrer Website.
Das Interview führte die Autorin und Wissenschaftsjournalistin Rosemarie Benke-Bursian.
Rosemarie Benke-Bursian gehört neben ihrer Tätigkeit als Journalistin zu den besonders fleißigen Schriftstellerinnen. Fast zwanzig Bücher listet AMAZON bei der Suche nach ihrem Namen auf. Darunter sind auch viele Fachbücher zu den Themen Mathematik, Physik, Astronomie und Biologie zu finden. Zu den besonderen Highlights ihres Werkes gehören aber ganz bestimmt die vielen Kurzgeschichten und Kurzkrimis. Frau Benke-Bursian hat auch zwei wunderbare Kinderbücher geschrieben, die leider momentan vergriffen sind. Ich werde diese aber bestimmt vorstellen, sobald sie wieder angeboten werden.
Nochmals besten Dank an Alice Gabathuler und Rosemarie Benke-Bursian für die Gelegenheit, dieses Interview im Autorenblog zu veröffentlichen.
Ihr Rainer Andreas Seemann